
Zwischen Trümmern und Täuschung – Die israelische Offensive in Gaza und die Politik der vollendeten Tatsachen
Israels Vorgehen in Gaza und die Siedlungspolitik im Westjordanland
Vorab eine kritische Bemerkung zum häufig verwendeten Begriff „Staatsräson“. Historisch bezieht sich dieser stark auf die Machtfrage. Dass Angela Merkel ihn im Kontext der deutschen Verantwortung gegenüber Israel verwendet hat, wirft sprachliche und politisch-strategische Fragen auf.
1. Historische Herkunft und Bedeutung
Die wesentlichen Ursprünge des Begriffs sind:
Machiavelli (1469–1527): Für ihn war die raison d’état ein kaltes Machtinstrument. Das Ziel ist der Machterhalt – und alles, was dazu dient, ist gerechtfertigt. Moralische Bedenken? Zweitrangig.
Giovanni Botero (1544–1617): Er sah die Staatsräson nicht nur als zynisches Machtdenken, sondern als „Kunde“: eine Lehre über die Mittel zur Erhaltung und Stärkung der Herrschaft. Aber auch hier: Das Wohl des Staates steht über allem.
In beiden Fällen ist „Staatsräson“ ein funktionales, machtstrategisches Konzept. Es geht nicht um Ethik, Geschichte oder Verantwortung – sondern um „die Logik der Macht“, zur Not auch gegen moralische Prinzipien.
2. Merkels Formulierung: „Israels Sicherheit ist Teil der deutschen Staatsräson“**
Dieser Satz fiel erstmals 2008 in der Knesset und ist seitdem ein politisches Dogma in Deutschland. Aber hier ist der Bruch offensichtlich:
Was wird hier eigentlich gesagt?
– Nicht: Deutschland wird seine Macht erhalten, um Interessen durchzusetzen.
– Sondern: Deutschland verpflichtet sich, „aus moralisch-historischer Verantwortung heraus“, das Existenzrecht Israels zu sichern.
Das ist etwas ganz anderes als klassische Staatsräson. Es ist:
eine ethische Selbstverpflichtung,
eine Folge historischer Schuld (Holocaust),
eine moralpolitische Setzung – kein machtstrategischer Imperativ.
3. Kritische Probleme bei der modernen Verwendung
a) Begriffliche Verwässerung
Die klassische Staatsräson basiert auf Eigeninteresse, Machterhalt, Sicherheit. Wenn man nun eine moralische Verantwortung als Staatsräson deklariert, verwischt man die Begriffe. Es entsteht ein politischer Nebel, in dem schwer erkennbar ist, was nun eigentlich warum getan wird.
b) Instrumentalisierung
Die Aufladung mit Staatsräson immunisiert die Aussage gegen Kritik. Denn wer gegen eine „Staatsräson“ opponiert, stellt sich nicht nur gegen eine Meinung, sondern gegen die angebliche Fundamentallogik staatlichen Handelns. Damit wird Kritik am Verhältnis zu Israel – auch legitime, etwa an völkerrechtlich fragwürdiger Politik – schnell als staatsfeindlich gebrandmarkt.
c) Unklare Konsequenzen
Wenn Israels Sicherheit Teil deutscher Staatsräson ist – was heißt das dann militärisch? diplomatisch? wirtschaftlich? Welche Mittel stehen zur Verfügung – und wo ist die Grenze? Ist eine israelische Regierung wie die derzeitige (Netanjahu, extreme Rechte, Siedlungspolitik) automatisch „unantastbar“, weil jede Kritik als Gefährdung Israels interpretiert werden kann?
Das Konzept bleibt vage – und das macht es gefährlich.
Einordnung: Staatsräson als moralpolitische Setzung
In der Merkel’schen Verwendung wird der Begriff umgedeutet: Staatsräson soll hier kein kaltes Machtprinzip sein, sondern ein Ausdruck politischer und historischer Verantwortung. Das ist neu – und problematisch. Denn es führt zu:
– moralischer Überhöhung staatlicher Interessen
– Verhärtung des Diskurses: Wer das in Frage stellt, stellt angeblich Deutschland selbst in Frage.
– Politischer Dogmatisierung außenpolitischer Positionen.
Fazit
Die moderne Verwendung des Begriffs „Staatsräson“ im Kontext Israels ist historisch fragwürdig, semantisch inkonsistent und politisch problematisch. Was ursprünglich eine pragmatische, machiavellistische Überlebensstrategie des Staates war, wird nun als moralischer Imperativ verkauft. Das ist rhetorisch geschickt – aber intellektuell nicht sauber.
Wenn man sagt: „Israels Existenzrecht ist Teil deutscher Verantwortung“, dann ist das ein ehrlicher Satz. Wenn man aber sagt: „Teil der deutschen Staatsräson“, dann tut man so, als sei das objektiv und unverrückbar notwendig für das deutsche Staatswohl – und das ist in der Praxis oft nicht haltbar.
Politikwissenschaftliche Perspektiven: Staatsräson als politisches Dogma?
Angela Merkels Aussage von 2008, dass „die Sicherheit Israels Teil der deutschen Staatsräson“ sei, wurde als moralisch motivierte Festlegung verstanden. Doch dies widerspricht der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs, der auf Machterhalt und nationale Interessen fokussiert ist.
Politikwissenschaftler wie Markus Kaim betonen, dass Merkels Aussage keine grundlegende Neuerung darstellte, sondern bestehende politische Leitlinien bekräftigte. Dennoch bleibt die Frage, ob eine moralische Verpflichtung als „Staatsräson“ deklariert werden sollte, um politische Entscheidungen zu legitimieren.
Medien und Öffentlichkeit: Zwischen Kritik und Tabu
Die mediale Berichterstattung zeigt eine zunehmende Spannung zwischen der offiziellen Staatsräson und der öffentlichen Meinung. So berichtete die Financial Times, dass Bundeskanzler Friedrich Merz Israels Vorgehen im Gazastreifen scharf kritisierte und die humanitären Auswirkungen nicht mehr durch den Kampf gegen den Terrorismus gerechtfertigt seien. Auch innerhalb der SPD fordern Politiker wie Rolf Mützenich einen Stopp der Waffenlieferungen an Israel.
Gleichzeitig wird Kritik an Israel in Deutschland oft als antisemitisch gebrandmarkt, was eine offene Debatte erschwert. Der SWR thematisierte in einem Feature die wachsende Kritik an der bedingungslosen Solidarität mit Israel und die damit verbundenen gesellschaftlichen Spannungen.
Literaturtipps zur Vertiefung
Für eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema empfehle ich folgende Werke:
– „Staatsräson? “: Dieses Buch bietet eine kritische Analyse der Verwendung des Begriffs in der deutschen Politik.
– „Das politische System Israels“ von Steffen Hagemann: Eine umfassende Darstellung der politischen Strukturen Israels, die hilft, die komplexen Beziehungen zu verstehen.
– „Relationi universali“ von Giovanni Botero: Ein Klassiker, der die ursprüngliche Bedeutung der Staatsräson erläutert.
1. Die humanitäre Krise in Gaza
Seit Beginn der israelischen Offensive im Gazastreifen im Oktober 2023 hat sich die humanitäre Lage dramatisch verschlechtert. Gleichzeitig treibt die israelische Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu die Expansion von Siedlungen im besetzten Westjordanland voran. Diese Entwicklungen werfen ernsthafte Fragen zur Einhaltung des Völkerrechts und zu den internationalen Reaktionen auf.
Die Welt schaut zu – mal betroffen, mal beschämt, meistens aber stumm. Während im Gazastreifen täglich Bomben auf Wohnviertel fallen, Krankenhäuser zerstört werden und Zehntausende zivile Opfer zu beklagen sind, errichtet die israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu parallel 22 neue Siedlungen im besetzten Westjordanland. Was wir hier erleben, ist kein Verteidigungskrieg – es ist ein systematischer Angriff auf ein ganzes Volk. Es ist, so hart es klingt, ein Völkermord im Schutze des westlichen Schweigens.
Das Gesundheitsministerium in Gaza und das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) berichten, dass zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 21. Mai 2025 mindestens 53.655 Palästinenser starben und 121.950 verletzt wurden. Die Zerstörung ziviler Infrastruktur, einschließlich Krankenhäusern und Schulen, verschärfte die humanitäre Situation weiter. UNICEF meldet, dass über 50.000 Kinder getötet oder verletzt wurden.
Die israelische Regierung verschärfte wiederholt die Blockade von Gaza, was zu einer akuten Versorgungskrise führte. Human Rights Watch bezeichnete die bewusste Aushungerung der Zivilbevölkerung als Kriegsverbrechen.
Die israelische Regierung spricht von „chirurgischen Schlägen gegen Hamas“. Doch die Realität zeigt: Das Skalpell ist längst zur Abrissbirne geworden.
Die systematische Aushungerung, die Blockade humanitärer Hilfe, das Abschneiden medizinischer Versorgung und der Beschuss von Flüchtlingscamps – das alles sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie sie im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs definiert sind.
Und ja: Wenn eine Bevölkerungsgruppe gezielt vernichtet oder ausgehungert wird, ist der Begriff Völkermord nicht mehr nur eine politische Zuspitzung – er ist eine juristische Kategorie.
2. Völkerrechtliche Bewertung
Internationale Organisationen und Experten kritisieren Israels Vorgehen scharf. Die UN-Kommission für Menschenrechte stellte fest, dass Israel durch gezielte Angriffe auf Zivilisten und Infrastruktur sowie durch die Blockade von Hilfsgütern gegen das humanitäre Völkerrecht verstößt. Amnesty International kam zu dem Schluss, dass Israel in Gaza einen Völkermord begeht.
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) erließ Haftbefehle gegen Premierminister Netanjahu und Verteidigungsminister Gallant wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
3. Siedlungsexpansion im Westjordanland
Am 29. Mai 2025 genehmigte die israelische Regierung den Bau von 22 neuen Siedlungen im besetzten Westjordanland. Diese Entscheidung stieß international auf scharfe Kritik, da sie das Völkerrecht verletzt und die Zwei-Staaten-Lösung gefährdet. Die Organisation Peace Now bezeichnete dies als die umfangreichste Siedlungserweiterung seit den Osloer Abkommen.
Die Siedlungen sollen strategisch entlang des Jordantals und in Gebieten errichtet werden, die für einen zukünftigen palästinensischen Staat vorgesehen sind. Dies wird als Versuch gewertet, die territoriale Integrität eines solchen Staates zu untergraben. Dazu passt folgendes Statement von Israels Außenminister Israel Katz: „man werde auf dem Boden des Westjordanlandes einen „jüdischen israelischen Staat“ errichten“, dies ist ein erschreckend offenes Bekenntnis zur Vertreibungspolitik und zur faktischen Annexion.
Das ist kein Verteidigungskonzept – es ist „ethnische Säuberung als Staatsziel“. Es steht in direktem Widerspruch zu internationalem Recht, zur Genfer Konvention und zur UN-Charta. Wer so spricht, verabschiedet sich vollständig von jeder Zwei-Staaten-Lösung und offenbart eine koloniale Logik: Landnahme durch Gewalt, legitimiert durch religiös-nationalistische Rhetorik.
Mit jedem illegalen Haus, das auf palästinensischem Land entsteht, stirbt nicht nur das Völkerrecht ein Stück, sondern auch der letzte Rest Hoffnung auf eine gerechte Friedenslösung.
4. Reaktion des Westens: Schweigen, Waffen, Lippenbekenntnisse
Die Reaktion der westlichen Staaten ist ein moralisches Desaster. Die USA blockieren nach wie vor Resolutionen im UN-Sicherheitsrat. Die Bundesregierung betont Israels „Recht auf Selbstverteidigung“ – und liefert gleichzeitig Rüstungsgüter, darunter Komponenten für U-Boote, Drohnen und sogar Munition.
Was bleibt vom Völkerrecht, wenn es nur für die Schwachen gilt?
Wer Gaza verteidigt, wird als Terrorfreund denunziert. Wer den Genozid beim Namen nennt, als Antisemit. Diese Erpressung funktioniert, weil die politische Klasse Europas lieber Opportunismus zeigt als Haltung. Es ist bequem, in Berlin mit leerem Blick über „Staatsräson“ zu dozieren, während man Menschen mit deutscher Rüstungstechnologie in Rafah verbrennen lässt.
5. Die Sprache des Völkerrechts: Kein Raum für Relativierung
Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (Art. 6–8) ist eindeutig:
– Völkermord: „Handlungen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören“ – u.a. durch Tötung, schwere körperliche oder seelische Schäden, und das Herbeiführen lebensfeindlicher Bedingungen.
– Kriegsverbrechen: Angriffe auf Zivilisten, gezielte Zerstörung lebenswichtiger Infrastruktur, kollektive Bestrafung.
– Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Systematische Angriffe auf die Zivilbevölkerung.
Es braucht kein Jurastudium, um zu erkennen, dass all dies auf das zutrifft, was derzeit in Gaza geschieht.
Fazit: Der Preis des Schweigens
Was in Gaza passiert, ist keine komplexe Tragödie zweier gleicher Gegner. Es ist ein asymmetrischer Vernichtungskrieg – geführt mit modernster Militärtechnik gegen ein eingesperrtes, entrechtetes Volk ohne Armee, ohne Schutz, ohne Fluchtmöglichkeit.
Und während Netanjahu im Inneren unter Korruptionsanklagen steht und außenpolitisch isoliert ist, rettet er sich mit dem alten Mittel der Autokraten: Krieg als Machterhalt.
Die internationale Gemeinschaft – insbesondere Deutschland – muss sich entscheiden:
– Für das Leben oder für die Lüge.
– Für das Völkerrecht oder für die politische Zweckmoral.
– Für die Menschlichkeit oder für die Rüstungsindustrie.
Noch ist es nicht zu spät.
Quellen:
23. Mai 2025 — Between 7 October 2023 and 21 May 2025, according to the MoH in Gaza as stated by OCHA, at least 53,655 Palestinians have
Vorgestern — UNICEF triplica la cifra de niños muertos en Gaza aportada por Hamás: pueden ser más de 50.000 El pasado día 22 de mayo, las
5. Dezember 2024 — Our research reveals that Israel has persisted in committing genocidal acts, fully aware of the irreparable harm it was inflicting


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