
Saisonarbeit und Lohndumping: Warum 80 % Mindestlohn ein Rückschritt ins 19. Jahrhundert wäre
Wer erntet unsere Erdbeeren? Wer steht im April mit krummem Rücken auf deutschen Feldern, sortiert Spargel und zieht Unkraut? Es sind Saisonarbeiter – oft aus Osteuropa und immer häufiger in prekären Arbeitsverhältnissen. Nun soll ihnen auch noch der Mindestlohn gekürzt werden. Nicht offiziell, sondern „flexibel“ für die „Wettbewerbsfähigkeit“. Gefordert werden 80 % des gesetzlichen Mindestlohns – nur für Saisonkräfte. Aber Moment mal, was ist das anderes als legalisierte Ausbeutung?
Der Mindestlohn ist ein Versprechen – kein Richtwert
Der gesetzliche Mindestlohn liegt 2025 bei 12,82 € pro Stunde. Das ist kein Luxus und kein Geschenk, sondern die unterste Grenze dessen, was ein Mensch in diesem Land mindestens verdienen sollte – unabhängig von Nationalität, Branche oder Saison. Dieses Existenzminimum um 20 % zu kürzen bedeutet im Klartext: „Du bist weniger wert, weil du Pflückarbeit machst. “ Das trifft genau die Menschen, die ohnehin auf der untersten Stufe stehen: Wanderarbeiter aus Polen, Rumänien und Bulgarien. Oft mit Sprachbarrieren, ohne rechtlichen Rückhalt und angewiesen auf jeden Euro.
Wer profitiert vom Dumping?
Laut Recherchen (u. a. von Faire Mobilität, dem DGB und der WELT) bleiben vielen Saisonkräften am Monatsende rund 1.500–1.800 € netto – trotz harter Arbeit und täglicher Abzüge für Unterkunft und Verpflegung. Würde der Lohn auf 80 % gekürzt, wären es locker 400–500 € weniger. Und jetzt raten wir mal: Wird die Erdbeere im Supermarkt dann 10 Cent billiger? Nein. Das Geld versickert bei Zwischenhändlern, Subunternehmern und in Exportketten.
Das eigentliche Problem: Ein System, das auf Ausbeutung basiert
Saisonarbeit ist seit Jahren ein grauzonengetriebener Markt:
Verträge auf Polnisch, aber mit deutschem Steuerrecht
Unterkunft im Container, aber Abzüge auf Hotelniveau
Subunternehmer, die niemand wirklich kontrolliert
Statt dieses System transparent, fair und menschenwürdig zu gestalten, wird jetzt ernsthaft vorgeschlagen, die Lösung sei: Löhne runter.
Argumente aus der Landwirtschaft? Berechtigt, aber falsch adressiert
Natürlich haben Landwirte es schwer: Wetter, Klimawandel, Discounterpreise. Aber die Ausbeutung von Arbeitskraft darf nicht das Notfallventil für Marktversagen sein. Statt Löhne zu kürzen, braucht es:
Faire Erzeugerpreise
Subventionen mit Sozialauflagen
Digitale Erntehilfen und moderne Arbeitszeitmodelle
Mehr Kontrollen und Mitbestimmung für die, die die Arbeit machen
Fazit: Mindestlohn muss Mindest bleiben
Diese Gesellschaft hat sich einmal entschieden, dass Arbeit nicht unter ein gewisses Niveau gedrückt werden darf. Diese Entscheidung darf nicht saisonal aufgehoben werden, nur weil Spargel geerntet werden muss. Wenn wir anfangen, Sonderregeln für die Schwächsten zu schaffen, öffnen wir die Tür zu einem Zwei-Klassen-Arbeitsmarkt. Heute sind es die Saisonkräfte. Morgen vielleicht schon die Pflegekräfte, Zusteller oder alle, die „nicht systemrelevant genug“ sind.
Meine Meinung: Wer ernsthaft will, dass andere Menschen unter Mindestlohn-Niveau schuften, soll das mal eine Woche lang selbst ausprobieren. Auf dem Acker. Im Container. Mit Vertrag auf Rumänisch. Dann reden wir weiter.
Bildquellen
- Bauernverbandes: Brauer-DBV__16
- bauerndemo: KI generiert
- Saisonarbeiter: JackF_istock_1382196096


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