
Wenn Karlsruhe zur Bühne rechter Kampagnen wird – Wie CDU-Rebellen und Populisten das Verfassungsgericht beschädigen
Was zur Hölle ist da eigentlich los in Berlin?
Die Wahl einer Verfassungsrichterin – einer renommierten, ausgewiesenen Expertin – wird zur Bühne eines demokratiezersetzenden Schauspiels. Der Fall Brosius-Gersdorf zeigt auf schmerzhafte Weise, wie tief Teile der CDU gesunken sind und wie bereitwillig sie sich von der AfD und rechten Netzwerken treiben lassen.
Was war ihr Verbrechen? Eine differenzierte Haltung zum Thema Abtreibung. Eine fundierte Position zur Impfpflicht. Ein akademischer Werdegang mit internationalem Renommee. Und genau das reicht heute, um zur „linksextremen Ideologin“ erklärt zu werden – von einer politischen Rechten, die längst nicht mehr argumentiert, sondern nur noch hetzt.
Die Rolle der CDU: Feigheit oder Kalkül?
Dass ausgerechnet Jens Spahn und andere konservative CDU-Abgeordnete diese Kampagne aufgenommen haben, ist ein Skandal. Nicht nur, weil sie sich an den Argumentationsmustern der AfD bedienen – sondern weil sie damit eine der letzten unabhängigen Institutionen der Republik vorsätzlich beschädigen. Statt auf juristische Fachkompetenz zu setzen, lassen sie sich von Empörungswellen leiten und buhlen um die Zustimmung eines rechten Randes, der die Verfassung zutiefst verachtet.
Das Verhalten von Spahn und den konservativen CDU-Rebellen ist ein Paradebeispiel politischer Selbstverzwergung: Statt sich an juristischer Fachkompetenz zu orientieren – dem einzigen Maßstab bei einer Verfassungsrichterwahl – instrumentalisieren sie rechte Narrative und sägen so an der Glaubwürdigkeit des höchsten Gerichts. Wer suggeriert, eine einzelne Richterin könne Karlsruhe ideologisch kapern, hat entweder das Grundgesetz nicht verstanden oder spielt mit der Axt an der Demokratie.
Dabei müsste jedem klar sein: Eine einzelne Richterin entscheidet nichts allein. Das Bundesverfassungsgericht besteht aus acht Richter:innen je Senat – Urteile werden im Kollegium gefällt, nach sorgfältiger Abwägung, über Parteigrenzen hinweg. Aber dieses Faktum scheint der CDU mittlerweile genauso egal zu sein wie rechtsstaatliche Prinzipien.
Der Plagiatsvorwurf: Die Nebelkerze
Und dann kam noch Plagiatsjäger Stefan Weber um die Ecke. Ohne Auftrag, wie er beteuert. Vielleicht glaubt er das sogar selbst. Aber der Zeitpunkt seiner „Recherche“, wenige Tage vor der Wahl, spricht Bände. Wer das politische Klima kennt, weiß: Solche „Zufälle“ sind selten zufällig. Rechte Plattformen sprangen sofort auf, stilisierten Brosius-Gersdorf zur linksideologischen Gefahr – und konservative Medien halfen fleißig mit.
Ein Wahlsystem, das zum Spielball geworden ist
Dass all das überhaupt möglich ist, liegt auch am geänderten Wahlverfahren von 2015. Damals wurde beschlossen, dass Verfassungsrichter:innen künftig im Bundestagsplenum gewählt werden – nicht mehr vertraulich im Wahlausschuss. Die Folge: Statt juristischer Prüfung gibt es nun Talkshow-Tauglichkeit und Twitter-Empörung. Statt Zwei-Drittel-Kompromiss zwischen Demokraten wird mit kalkulierter Blockade gearbeitet. Wer eine Mehrheit hat, lässt einfach nichts mehr zu. Willkommen im Zeitalter der Erpressbarkeit.

O-Ton Steffen Billger, CDU, 11.7.25
„Wesentliche Voraussetzung für eine Beruhigung einer solchen Situation ist, dass die jeweiligen Kandidaten für das Amt eines Richters oder einer Richterin am Bundesverfassungsgericht über jeden fachlichen Zweifel erhaben sind. Das ist aus unserer Sicht nun nicht mehr vollständig gegeben. Wir wären bereit gewesen, die beiden anderen Verfassungsgerichter heute zu wählen.“
Billger bezog sich auf einen Plagiatsvorwurf gegen Brosius-Gersdorf, der jedoch bereits zum Zeitpunkt seiner Rede zurückgenommen wurde. Der Vorwurf betraf eine Textgleichheit, doch Brosius-Gersdorf veröffentlichte ihre Arbeit vor ihrem Ehemann, was ein Abschreiben ausschließt. Die Universität hat signalisiert, den Fall nicht weiter zu verfolgen.
Was jetzt passieren muss:
Es braucht endlich eine Rückkehr zum alten Modus: Zwei-Drittel-Mehrheit im vertraulichen Wahlausschuss. Keine Öffentlichkeit, kein Twitter-Mob, keine Kampagnenfähigkeit von rechts. Das Gericht muss wieder das sein, was es immer war: eine Instanz der Ruhe, der Expertise und der demokratischen Vernunft.
Fazit:
Diese Republik kann sich keinen politischen Kindergarten auf Kosten ihrer höchsten Richter:innen leisten. Wer Karlsruhe zum Schlachtfeld politischer Eitelkeiten macht, sägt an der Verfassung selbst. Und wer sich dabei von der AfD den Takt vorgeben lässt, hat längst vergessen, auf wessen Boden er eigentlich steht.
Es reicht. Holt das Gericht aus dem Morast zurück – und schickt Spahn & Co. dahin, wo sie hingehören: in die Bedeutungslosigkeit.
Bildquellen
- Steffen Bilger, CDU: 5012165_Leon_Kuegeler _photothek_bundestag
- Masken Jens Spahn: Composing – KI generiert, pixabay.com
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- bundesverfassungsgericht: photothek_bundestag, pixabay.com

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